„Ist das biographisch?“ – gilt als eine der wohl am häufigsten gestellten Fragen auf Autorenlesungen. Doch für manche Leser ist es relevant zu wissen, ob gewisse Ähnlichkeiten zwischen Autor und Protagonist zufällig oder gewollt sind.
Die Journalistin Claudia Tebel-Nagy schreibt in ihrem Buch „Ein Stern im Béarn“ nicht über ihre eigene Geschichte. Vielmehr wandelt sie auf den Spuren von Madame Marguerite Labbé.
In ihrem Roman verwebt die Schriftstellerin eine fiktive Rahmenhandlung mit biographischen Fakten aus dem Leben der heute 87- jährigen Französin.
„Viele Menschen in diesem Roman gibt es tatsächlich. Ihre Geschichten
beruhen auf wahren Begebenheiten. Ich danke Marguerite Labbé,
geb. Léon Bérard für ihr Vertrauen, ihre Offenheit und Herzlichkeit.
Sie lebt noch heute im Château d’Orion im Béarn.“(Auszug aus „Ein Stern im Béarn“, S. 237)
Im Roman reist die 23-jährige Sarah aus Wien nach Frankreich, um Abstand nach einer Trennung zu gewinnen. Im Südwesten Frankreichs, in der Region Béarn, begegnet sie Marguerite Labbé. Die ehemalige Schlossherrin des Château d’Orion fasst im Laufe des Romans immer mehr Vertrauen zu Sarah und beginnt über ihre Kindheit und Jugend zu erzählen. Dabei gelingt es Claudia Tebel-Nagy beide Lebensläufe mit der Handlung so zu verbinden, dass sich am Ende Fiktion und Realitätspartikel ergänzen.
Wie erstaunlich nah die Journalistin an den historischen Fakten und Lebensdaten bleibt, zeigt sich beispielsweise daran, dass sie weder Marguerite Labbés Namen oder Ortsbezeichnungen ändert und Original-Fotos aus Kindheit und Jugend von ihr zeigt.
Marguerite Labbé wird 1927 in Frankreich als Marguerite Léon Bérard geboren. Ihr Vater, Léon Bérard, war ein einflussreicher Rechtsanwalt und Politiker. Vor dem Zweiten Weltkrieg leitete er das französische Justizministerium. Im Oktober 1940 ernannte ihn das Vichy-Régime zum Französischen Botschafter am Heiligen Stuhl. Auch die damals dreizehnjährige Marguerite begleitet ihn mit ihrer Mutter nach Rom. Ihre Jugendzeit verbrachte Marguerite Labbé folglich im Vatikan in Rom.
Im Gästehaus des Vatikans begann für sie die prägendste Zeit ihres Lebens. Aber auch nach Kriegsende war es Familie Bérard nicht möglich gleich nach Frankreich zurückzukehren. Da Léon Bérard in seinem Heimatland als Kollaborateur galt, wohnte Marguerite auch weiterhin mit ihren Eltern im Gästehaus des Vatikans bei Papst Pius XII.
„Als die Bérards zurück nach Frankreich zogen, im August 1948, war Marguerite fast 21 Jahre alt, hatte nie eine Schule besucht, mit keinem Kind gespielt, sich weder gezankt noch verbündet, war nie von einem Hauch Verliebtsein berührt worden, genauso wenig von einem Liebeskummer. Sie kannte nur die Hoffnung, irgendwann einmal mit dem Leben beginnen zu dürfen.“
(Auszug aus „Ein Stern im Béarn“, S. 187)
Doch es ist nicht nur die Lebensgeschichte von Marguerite Labbé, die Claudia Tebel-Nagy in „Ein Stern im Béarn“ erzählt, vielmehr geht sie auch den Orten und ihren Geschichten auf den Grund. Dabei spielt das ebenfalls tatsächlich existierende Château d’Orion eine tragende Rolle. In dem Marguerite Labbé, als ehemalige Schlossherrin bis heute wohnt. Aufgrund ihrer Heirat mit dem Mediziner Marcel Labbé 1954, reiht sich Marguerite als letzte „Châteleine“ in den langen Stammbaum der Schlossbewohner ein. Dessen Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert reichen.
Denn das Landschloss war von Beginn an ein lebendiger Ort, an dem sich Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler trafen. Im 19. Jahrhundert kam das Haus in den Besitz des berühmten französischen Chirurgen Paul Reclus, der in Paris mit Kokain als Narkosemittel experimentierte und die Wundsalbe Pommade de Reclus erfand. Seiner begehrten Tochter Madeleine Reclus samt Château widmete der Dichter Hénri de Regnier ein eigenes Sonett. Die Autorin und Journalistin Claudia Tebel-Nagy zeichnet neben biographischen Ausschnitten aus Marguerite Labbés Leben, auch ein Porträt der Schlossbewohner aus Anekdoten und historischen Fakten.
„Ein Stern im Béarn“ ist kein reiner historischer oder Liebesroman, vielmehr lässt die Rahmenhandlung – Sarahs Flucht aus Wien nach Frankreich – ein Stück französische Geschichte durch die Biographie von Marguerite Labbé und durch die Erzählungen über das Château d’Orion lebendig werden.
Claudia Tebel-Nagy: Ein Stern im Béarn; Edition Ausblick, Wien 2014.